Beschreibung

Eine autobiografische Chronologie der Jugendsünden zweier Freunde, garniert mit zahlreichen Schulheft-Kritzeleien.

Ungeeignet für folgende Personenkreise:

- Kinder

- Schwangere

- Referendare

- Protestanten

- Weltverbesserer

- Philister

- Nationalisten

- Akademiker

- Analphabeten

- Anverwandte

- und die jeweiligen *innen

 


Erhältlich als



Leseprobe

Dann ist es schließlich geschehen. Ich hackte mit zitternden Fingern die Worte „Ich liebe dich“ ins Handy und schickte die Nachricht ab. Beklommen wartete ich auf das Folgende. Aber ich musste nicht lange warten.

„Oh, ich liebe dich auch!!“, kam es zurück. Ich lachte, umarmte und küsste mein Handy. Dann schlief ich voller Glückseligkeit ein.

 

Am nächsten Tag folgte das, was logischerweise nach solchen Liebesbekundungen folgen musste. Der Wunsch, sich zu treffen, sich zu sehen. Sich in die Arme zu nehmen, wie Raubtiere übereinander herzufallen, die Kleider zu zerreißen, als würde man sie nie wieder brauchen. Also verabredeten sich Cindy und ich in der Eisdiele Venezia, obwohl ich an diesem Nachmittag eigentlich Konfirmandengruppe hatte – aber wurscht! Es wäre nicht auszuhalten gewesen, noch einen Tag zu warten! Alles in mir sehnte sich nach Cindy!

Selbstverständlich war Michl nicht der Erste, der zu bedenken gab, dass es ja möglich war, dass mir Cindy vom Äußeren her nicht gefallen würde – das hatte mir mein Kleinhirn bereits gesagt. Aber die Chance war ja doch relativ gering. Sie hatte doch so eine schöne Stimme gehabt und überhaupt waren meine Ansprüche bei Frauen nicht überkandidelt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Michl sagte dazu gewöhnlich: „Besser widerlich als wieder nich.“ 

Dennoch traf ich die nötigen Vorsichtsmaßnahmen. Ich heuerte meine Freunde Michl und Xaver an, kurz nach mir die Eisdiele zu betreten. Und mich da gegebenenfalls rauszuholen, sollte die Situation unzumutbar sein. In Wirklichkeit wollte ich sie vor Neid erblassen sehen, beim Anblick dieses traumhaften Geschöpfes, das nun mein sei, mein!

Wir gingen zu dritt los. Ich zitterte vor Aufregung und Begierde. Dann waren wir in der Innenstadt angekommen. Michl und Xaver betraten auf mein Geheiß hin noch ein anderes Geschäft, um dann nachzukommen. Schließlich hätte es verdächtig ausgesehen, wenn wir zu dritt ins Venezia gestürmt wären.

Also ging ich allein hinein. Pünktlich war ich, extrem pünktlich. Aber offensichtlich zu pünktlich, denn Cindy war noch nicht da. Die Eisdiele war nicht groß, man hatte schnell die paar Gäste überschaut. Ein Rentnerehepaar saß in einem Eck, ein Herr mit einer Zeitung und übereinandergeschlagenen Beinen in einem anderen Eck und am Nachbartisch hockte ein Troll. Sonst war nichts los im Venezia.

Ich wollte es schon wieder verlassen, um vor der Tür auf die Holde, die Herrliche, den Glücksstern meines Lebens zu warten – da räusperte sich der Troll.

„Lukas?“, sagte er mit einer flötenden Mädchenstimme, die mir auf grauenerregende Weise bekannt vorkam. Hatte ich eben noch vor Aufregung gezittert, so zitterte ich jetzt vor Angst und Pein. Ich drehte mich um.

„Ich bin’s: Cindy“, sagte der Troll und schnitt eine Grimasse, die wohl ein verliebtes Lächeln sein sollte. Die Haare pappten in verwaschenem Blond fest auf ihrem Schädel, sie hatte eine Brille für -100 Dioptrien und eine Zahnspange, die kläglich versuchte, noch irgendwas im Mund zu retten.

Wie aus den vorderen Seiten schon herauszulesen war, hatte ich stets ein äußerst gespaltenes Verhältnis zur Religion gehabt. Aber zum Atheisten bin ich in ebendiesem Moment geworden.

Es gab auf der Welt so viele Mädchen und es gefielen mir soo viele davon. Und selbst, wenn ein Mädchen nicht mein Typ gewesen wäre, wäre ich mithilfe meines ausufernden Verlangens noch glücklich geworden – aber das?! Das konnte doch keine Gottheit der Welt ernsthaft gewollt haben! Das konnte nur ein schlechter Scherz sein oder eine Szene aus einem nordischen Märchen, in dem der ewige Lüstling mit der Tochter des Trollkönigs bestraft wird.

Ich glaube, dass ich nur deshalb auf dem Stuhl vor ihr Platz nahm, weil ich sonst ohnmächtig zu Boden gestürzt wäre. Ich weiß nicht mehr, ob wir uns erst noch umarmt haben, der Schock hat mir die Erinnerung geraubt. Ich weiß nur, dass ich mich noch nie so für die Eiskarte interessiert hatte wie jetzt. Und dass ich panische Angst hatte, Cindy würde irgendwann auf meine Liebesbekundungen zu sprechen kommen.

Jetzt konnten mir nur noch meine Freunde helfen. Ach, Freunde. Wie wichtig es doch ist, Freunde zu besitzen. Sind sie nicht viel besser als alle Mädchen der Erde, weil sie in guten wie in schlechten Zeiten für einen da sind?

 

Michl und Xaver kamen nicht gleich herein, sie guckten erst durch die Fenster. Und mussten zunächst viereinhalb Minuten lachen.

Dann aber kamen sie herein, herein in die Eisdiele meines Schicksals, wo ich mich hinter meinem Eisbecher versteckt hielt. Sie kamen, um mich zu retten, mich zu befreien, die Ketten zu sprengen der immerwährenden Freundschaft wegen. Dachte ich. In Wirklichkeit setzten sie sich genüsslich an einen Nachbartisch, bestellten sich Milchshakes, lauschten und tranken, wann immer es ihre schadenfrohen Lachanfälle zuließen.

Ich war indessen auf meine Arbeit bei der Konfirmandengruppe zu sprechen gekommen und darauf, dass ich da leider noch hinmüsste, gleich schon, wenn nicht sofort, und dass mir das alles sehr unangenehm wäre.

„Wo ist das?“, fragte der Troll.

„Im Lauberhaus“, sagte ich.

„Dann begleit‘ ich dich dahin“, sagte der Troll.

„Super“, sagte ich.

Wir zahlten die Eisbecher und verließen das Venezia.

 

Beim Lauberhaus angekommen, umarmte ich meine Begleitung hastig, entschuldigte mich nochmal, weil mir die Arbeit dazwischengefunkt wäre, und stürzte zur Tür hinein. Pfarrer M. wunderte sich, warum ich schon da war, fast eine Stunde vor Beginn der Sitzung. Aber ich war glücklich, unbeschadet davongekommen zu sein.

Doch währte das Glück nicht lange.

Denn während wir noch unsere Sitzung mit den 15 Konfirmanden abhielten und über Gott und die Welt – also hauptsächlich über Gott und weniger über die Welt – redeten, klopfte es an der Tür.

„Herein“, sagte Pfarrer M.

Die Tür öffnete sich und der Trollkopf schob sich durch den Spalt, sprechend: „Kann der Lukas mal rauskommen?“

Pfarrer M. rettete und verriet mich gleichzeitig, denn er meinte, es wäre in wenigen Minuten eh Schluss und sie möge, wenn möglich, noch so lange warten.   

Verdammt nochmal, dachte ich mir, hat die jetzt echt zwei Stunden vorm Lauberhaus herumgelungert?! Überhaupt ärgerte es mich, dass sie sich gezeigt hatte – und das vor den Konfirmandinnen. Ich war ja nur der Mädchen wegen Konfirmandenhelfer, aus keinem und zwar gar keinem anderen Grund. Und die glaubten jetzt, dass ich mit Cindy in irgendeiner Verbindung stand.

Den Wert des Mannes auf dem Markt erkennt man stets an der Schönheit seiner Freundin, das ist ein unumstößliches Naturgesetz. Wer eine fesche Freundin hat, ist viel wert und kann mit wenig Mühe auf eine schönere umsatteln. Wer eine wüste Freundin hat, ist nur wenig wert und gerät in eine Abwärts-Spirale. Mein Wert lag nun, nachdem Cindy sich gezeigt hatte, im Schuldenbereich.

Plötzlich war die Sitzung beendet und der Moment der Wahrheit nahe. Ich würde nicht heucheln können, dass ich jetzt am Abend noch weitere, wichtigere Termine hätte. Das wäre komplett unglaubwürdig gewesen. Da aber kam mir eine Idee.

Ich pfiff mir einen von den Konfirmandenbuben herbei und bat ihn, doch mal vor die Tür zu schauen, ob das Mädchen von eben noch da war. Er gehorchte, schaute nach, fand sie nicht, schlich vor die Lauberhaustür nach draußen … und fand sie.

Nachdem er mir das berichtet hatte, bat ich ihn, sie hereinzuholen und zu behaupten, ich sei nur eben auf der Toilette. Im Gegenzug erließ ich ihm, das Glaubensbekenntnis und den Psalm 23 auswendig zu lernen. Und schon war der Lauser draußen, redete sie an und führte sie herein. Ich nutzte die Gunst der Stunde, kletterte aus dem Fenster und entwischte glücklich in die Freiheit.

 

Danach habe ich nie wieder etwas von ihr gehört.