Beschreibung

Der bayerische Löwe – zu einem dickköpfigen schwarzen Kater zusammengeschrumpft.

 

In schwermütige Träumereien versunken erblickt ihn der König im Spiegel, kann seinen Anblick aber nicht ertragen. Indessen hindert ihn sein Ebenbild daran, hinter den Spiegel zu treten und dem verhassten Tier den Garaus zu machen. Also steigt der König durch den Wasserspiegel des Sees, in dessen Tiefen er zwar nicht dem Kater, dafür aber einem lieblichen Nixenmädchen begegnet. In heftiger Liebe entflammt bittet er sie um einen Kuss – doch die Nixe, die um die todbringende Wirkung eines solchen Kusses weiß, fordert den Märchenkönig auf, zunächst nicht weniger als dreimal drei seiner allerschönsten Märchen darzubieten.

 

 

So erzählt er ihr aufs Erste die Geschichte vom Wechselbalg Vinzenz Ruß und der Reklamation seiner Mutter beim Teufel, dem aber kein Balg dieses Namens bekannt ist – und präsentiert mit diesem Verwechslungsmärchen ganz nebenbei den dritten Teil der spätromantischen Teufelsraub-Trilogie, deren erster Teil Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte und zweiter Teil Hoffmanns Die Abenteuer der Sylvester-Nacht ist.

Und er erzählt vom schüchternen Jüngling Selim Šīrāzī, der mit poetischen Liebesbekundungen vergeblich das Herz der königlichen Mätresse Merve zu erobern sucht – sie aber beim unverhofften Schmecken ihrer Weiblichkeit als die vom Sultan gesuchte Mirabellendiebin entlarvt.

Es folgt die kriegerische Seefahrt des Cavalier und dessen Mission, die französische Königin aus den Händen der feindlichen Bewohner der île des hommes zurückzuerobern. Nach den tückischen Verführungskünsten der Insulanerinnen bleibt dem Abenteurer aber nur mehr die Flucht durch die Untiefen des Orkus – und das Herausfordern des Höllenfürsten zu einer Schachpartie.

Das vierte Märchen erzählt die Geschichte der Prinzessin Elsbeth, deren Hand beim Sängerwettstreit von dem abscheulichen Riesen Klabbaf gewonnen wird, nachdem jener den schöngeistigen Mondprinzen verhexen lässt und dessen Liebesdichtung auf seine eigene Fahne schreibt. Die Prinzessin weigert sich aber, die Ehe als gottgewollt anzuerkennen, solange der Riese am Freitag nicht dasselbe isst wie sie. Doch nachdem er ihr statt eines Fisches heimlich den Schwanz einer Nixe und sich selbst deren obere Hälfte vorsetzt, scheint der grässlichen Entjungferung nichts mehr im Wege zu stehen.

Das Mittelstück des Märchenalmanachs bildet die bairische Liebesdichtung des Mondprinzen: Der vor der Guillotine flüchtende Wilderer Hiasl entdeckt in einer seiner Bärenfallen die Jagdgöttin Diana und wird zum Dank für ihre Befreiung mit einem Zauberring entlohnt, der ihn während der Jagd Tiergestalt annehmen lässt. Während eines Streifzuges beobachtet Hiasl sein innig geliebtes Lisei ausgerechnet im Arm seines Erzfeindes – einem adeligen Jäger. Er will sich schon das Leben nehmen, als ihm mit Blick auf den Zauberring zuletzt aber ein rettender Gedanke kommt.

Auf Wunsch der Nixe nach mehr Exotik erzählt der König ferner die Legende vom indischen Mädchen Nakusa, das im Ganges ertränkt werden soll, von der Göttin Sarasvati aber errettet und von den weisen Orang-Utans aufgezogen wird. Im Laufe ihres Heranwachsens im Dschungel erfüllt Nakusa nach und nach die hinduistischen Lebensziele und tastet sich zunehmend an die Größte aller Weisheiten heran – was gleichermaßen das Herzflimmern und den Zorn Shivas erregt, der sich seit dem Tod seiner göttlichen Gattin Sati geschworen hat, sich nie wieder zu verlieben.

Das siebte Märchen ist die Dystopie eines Internats, in dem die Liebe als Unwort und Schwachstelle eines funktionierenden Systems ausgemerzt werden soll. Die Geschlechter werden konsequent voneinander getrennt und allein am „Tag des Aktes“ für wenige Minuten zusammengeführt. Der introvertierte Schorsch und Marie, ein forsches Mädchen mit tiefschwarzen Augen, verlieben sich aber doch. Da sie kein Wort miteinander sprechen dürfen, findet die Verständigung fortan auf Zetteln statt, in der ständigen Angst, von der Internatsleitung Frau Dr. Germania ertappt und gezüchtigt zu werden. Als Marie schwanger wird und die Tauglichkeit der Jungen – allen voran für den Kriegsdienst – erwogen wird, beschließen Schorsch und Marie, dem System zu entfliehen.

Ein Kasperlstück, von dem der Dichter Ludwig Tieck indes seinen Mit-Romantikern erzählt, schildert das grausige Spiel des Prinzen Wagehals und seines Lakaien, dem Kasperl Larifari. Begonnen mit einem Maikäfer wird von jedem Spieler abwechselnd ein Tier aufgetrieben, das das vorherige frisst, wobei sich die Gewinnersumme von Runde zu Runde erhöht. Den überhörten Warnungen Gretels und dem heimtückischen Eingreifen des Teufels zum Trotz könnte das Stück dennoch ein gutes Ende nehmen. Was aber passiert, wenn bösartige Kinder im Zuschauerraum konsequent falsche Anweisungen geben?

Das letzte Märchen handelt von der Suche eines verzweifelten Vaters nach einem Zeitpunkt in der Vergangenheit. Dem Zeitpunkt nämlich, an dem der kleine Lorenz noch im Bett liegt und das Fenster geöffnet ist. Am Weltenfluss entlang bergauf steigend, dem Rad der Fortuna und der Höhle der Sphinx entgegenwankend, hofft der Vater, jenen Zeitpunkt finden, das Fenster schließen und das Geschehene rückgängig machen zu können. Doch der entsetzliche Nachtkrapp mit dem übergroßen Phallus begleitet ihn auf der anderen Uferseite wie ein makabres, lauerndes Spiegelbild.   

 

Ludwig II., König von Bayern, wenn auch nicht namentlich erwähnt, ist omnipräsent in diesem erotischen Fiebertraum. Jeder Abschnitt der Rahmen- und Binnenhandlung, jedes Märchen, jede Ballade und jedes Gedicht handelt von ihm, teils vorder-, teils hintergründig, in den meisten Fällen aber abgründig, schwarzromantisch und surreal.

Die „Bayerische Tausendundeine Nacht“ stellt somit nicht weniger als die bisher umfangreichste literarische Hommage an König Ludwig II. dar.



Illustrationen


Leseprobe

Die Seefei klatschte in die Hände, was unter Wasser durchaus kein leichtes Unterfangen ist. „Köstlich! Köstlich, diese Geschichte!“

Ich dachte mir, dass sie dir gefällt.

„Durchaus! Es war die vergnüglichste bisher. Im Übrigen fällt mir auf, dass der Spiegel ein zentrales Motiv bei Euren Märchen ist.“

Ist das so?

„Na, wenn Ihr das nicht wisst.“

Der Spiegel muss nun einmal zentral platziert werden. Da bilden Geschichten keinen Unterschied zu Räumlichkeiten.

„Das ist wahr. Und doch kenne ich einen König, der ihn schamhaft unter seinem Bette verbirgt. Und überdies auch noch den prunkvollsten Spiegel im ganzen Palaste.“

Der König erschrak – obschon er wusste, dass die Jungfer vom Wasserkönig sprach. Aber er wusste auch, dass sie schlau war. In jedem Falle schlau genug zu erkennen, dass jener doch bloß sein Spiegelbild war.

Und richtig fuhr sie fort: „Wisst Ihr etwa von dem Spiegel? Sein verschnörkelter Rahmen ist mächtig und, wenn ich nicht irre, von reinem Golde. Perlen und Edelsteine …“

Aufhören! Sofort aufhören!

Der König hatte sich abgewandt.

„Was ist mit Euch?“ Die Seefei zupfte sacht an seiner Joppe.

Ich kenne den Spiegel wohl. Ich selbst verberge ihn ja in meinem Schlafgemache.

„Aber warum solch ein Schmuckstück verbergen? Das muss doch ein Vermögen wert sein“, erwiderte die Seefei, schwärmerisch wie ein Menschenmädchen.

Ein Vermögen? Ja, das kann man wohl sagen. Ich erbte ihn von meinen Eltern, da waren die Rahmenornamente aber deutlich kleiner und allein mit Blattgold überzogen. Ich ließ ihn in mein Audienzzimmer hängen, stolzierte davor auf und ab und konnte mich durchaus nicht von dem Gedanken lösen, ihn noch prunkvoller auszustaffieren.

„Daran ist ja nichts verkehrt.“

Das glaubte ich auch, als ich die Staatskasse zum ersten Male strapazierte. Aber mit dem verbreiterten Rahmen, dem Golde und den Ornamenten passte der Spiegel immer schlechter in mein bescheidenes Audienzzimmer. Er fiel gewissermaßen aus dem Rahmen.

„Also habt Ihr …“

Also habe ich im ganzen Zimmer goldene Ornamente anbringen lassen, so sehr meine Minister auch die Augen verdrehten. Endlich, dachte ich, fügt sich der Spiegel artig ins Ganze. Aber ich wurde des flächigen Goldes überdrüssig und fand bald, dass die Extravaganz meines Spiegels in einem Raume, der Gold in Gold glänzt, kaum mehr zum Ausdruck käme. Verstehst du?

„Ja …“

Also ließ ich ihn mit Edelsteinen, kostbaren Perlen und zierlich ausgeschnitztem Elfenbein bestücken – und als die Minister sich über eine leere Staatskassette beschwerten, befahl ich, die Steuern im Lande zu erhöhen. Indes nahm der Gedanke von mir Besitz, dass das Audienzzimmer ja kaum noch zu den anderen Gemächern passen würde, die mir nun über alle Maßen schlicht erschienen.

„Also habt Ihr auch diese vergolden lassen ... und das Nämliche geschah denn auch in den anderen Schlössern, nehme ich an?“

Ach, ich wollte meine neue Handschrift doch überall erproben. Dann aber geschah das Entsetzliche.

„Was denn?“

Auf der Kutschfahrt hierher, unweit der Münchner Hauptstadt erblickte ich die Elenden, die Notleidenden, die Ausgestoßenen der Gesellschaft. Es waren Kinder – in einer Zahl, die ich mir bis dato nicht hätte ausmalen können. Massenhaft bettelten sie, stahlen oder prostituierten sich auf offener Straße. Es war ein fürchterlicher Jammer, den ich da erblickte – und mein erster Gedanke war, warum denn keiner etwas dagegen unternähme. Dann erst kam mir das Naheliegende in den Sinn: Dass ich ja dafür verantwortlich war. Ich und niemand anderes!

Die Seefei schwieg. All ihr kindlicher Übermut war verpufft.

Beim Schlosse angekommen stürzte ich aus der Kutsche und in mein Audienzzimmer hinauf. Ich trat vor den Spiegel, der die Quelle meiner Erbitterung war. Ich wollte mir in die Augen sehen, wollte mich betrachten – da erst bemerkte ich, dass die ausufernden Prunkornamente den Spiegel gänzlich eingenommen hatten. Ich konnte mir nicht einmal mehr in die Augen sehen!