Beschreibung

Ein Haus. Ein Keller. Dort unten sitzt ein kleines Mädchen. Maja. Sie hat sich selbst dorthin zurückgezogen, um ihrer Tante Trudl und ihrer aufgezwungenen Spielkameradin, der Qual, zu entgehen.
Nach dem absurden Tod ihrer Eltern findet sich Maja im Haus ihrer verhassten Tante wieder, weit weg von ihrer Heimat Tupfing und ihren Freundinnen. Das Gymnasium und die aufdringlichen Mitschüler geben dem introvertierten Mädchen den Rest. Was ihr bleibt: Ihre Gedanken, ihr Hass. Und die Sehnsucht nach Befreiung. Doch die Freiheit ist nur über zwei Umwege zu bekommen: Freitod … oder Mord!
Was wie eine tragische Mädchengeschichte daherkommt, entpuppt sich bereits nach wenigen Seiten als bitterböse Abrechnung mit der als ungerecht empfundenen Welt. Die Tante Trudl wird zum Symbol aller Unterdrückung, die Klassenkameraden zur Gesellschaft, die für alles und jeden Verständnis zeigt, nur nicht für diejenigen, die sich abschotten. Eine subjektive Satire, die in ihrer atmosphärischen Dichte und ihren grotesken Nebenhandlungen stark an Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Gustav Meyrink und Franz Kafka erinnert.
Hier wird Tacheles geredet und der ausgestreckte Moral-Zeigefinger gebrochen, ohne jedoch die fantastische Ästhetik à la Marc Chagall zu beschädigen.



Leseprobe

Maja ist kalt.

Sie steht inmitten der Dunkelheit und ihre kleinen Hände reiben über ihre Oberarme. Irgendwo muss doch die Sonne sein. Aber welcher der Milliarden Sterne ist die Sonne?

Doch dann blinzelt sie – und die Sonne erscheint, so deutlich, dass Maja ganz wild vor Freude wird. Aber sie ist noch fern. Ihre Strahlen fließen ihr wie ein goldenes Rinnsal entgegen. Und wo sie ihre Hand in das Gefunkel legt, da ist es schon verebbt.

Ich muss der Sonne näher kommen, denkt sich Maja. Ich muss so nah an sie heran, dass ich nimmer zu frieren brauche. Aber wie?

Und sie schaut an sich herunter und sie steht am Abgrund. Und rings um sie her ist nichts als Abgrund. Sie steht auf einem Ball, der ist ganz grau und wenn man sich auf ihm bewegt, dreht er sich unter den Füßen mit.

Maja strauchelt. Nicht zu schnell, ruft sie. Ich falle sonst hinunter. Doch der Ball, der der Pluto ist, dreht sich immer weiter.

Da macht Maja einen Hopser und landet auf dem blauen Neptun. Der ist viel größer und dreht sich keineswegs so schnell wie der kleine Pluto. Hier könnte Maja nun verschnaufen, denn der Abgrund hat ihr schon Angst gemacht. Aber die Sonne scheint noch gar nicht näher gekommen zu sein und das Mädchen friert entsetzlich.

Und dort ist ja schon der Uranus, da will sie hinüber. Mit etwas Anlauf geht’s. Hui! was für ein Spaß. Das Weltall ist so klar. So weit. So frei. Aber wo ist denn die Sonne? Dort hinten fließt sie ja, das goldene Bächlein. Ach, Sonne, wärme mich, wärme mich! Du bist doch nur noch wenige Sprünge entfernt und doch scheinst du mir so unerreichbar!

Ein Sprung – Hei! das wäre beinah schief gegangen. Nur gut, dass sich Maja am Ring des Saturns festhalten konnte! Gleich steht sie glücklich auf seiner Rundung und keucht. Die Sterne blitzen und funkeln dazu. Nur die Sonne scheint noch weit, weit weg zu sein. Die Kälte ist unerträglich.

Maja fasst sich ein Herz, nimmt Anlauf, dass sich der alte Saturn nur so dreht und landet auf dem Jupiter. Keine Zeit, ruft sie und spurtet weiter. Und hui! auf den Mars. Doch da kann sie nicht bleiben, sie muss ja zur Sonne, zur Sonne. Hui! auf die Erde – hier teilt sich der Weg. Einer führt in die Wolken, der andere zur Venus. Keine Zeit, ruft Maja und hopst auf den schönen Planeten.

Derweil plätschert die Sonne kraftlos dahin.

Was ist denn da los? Ich friere, als ob ich noch auf dem Pluto stünde, denkt sich das Mädchen. Aber nur Mut! Hui! und schon steht sie auf dem Merkur. Jetzt reißt sie die Augen weit auf, denn sie erwartet, die Sonne groß und schön sich vor ihr ausbreiten zu sehen, ein warmes Dampfbad. Da möchte sie hineinspringen und sich wärmen und hernach über und über mit Gold bedeckt durch die Welt gehen.

Aber vor ihren Füßen ist keine Sonne. Die rinnt immer noch in weiter Ferne vor sich hin, keinen Deut näher als zu Beginn. Das darf doch nicht wahr sein, schimpft Maja. Statt des goldenen Dampfbads schwebt ein winziger grauer Planet vor ihr über dem Abgrund.

Maja wird ungeduldig. Obwohl sie schon ganz außer Puste ist, springt sie auf den Miniplaneten und dann auf den nächsten und nächsten und nächsten, während das gleißende Gestirn an ihr vorbeisaust. Erst beim großen Jupiter bemerkt sie, dass sie ihre vorige Bahn von Neuem gezogen hat. Der kleine graue Planet war ja der Pluto.

Jetzt ist sie ganz verwirrt. Wie kann es denn sein, dass man in großen Sätzen direkt auf die Sonne zuspringt, ohne ihr näher zu kommen? Und warum beginnt das Planetensystem immer wieder von Neuem?

Auf der Erde angekommen, fließen Tränen aus Majas Augen. Ihr ist doch so kalt. Und sie braucht Wärme.

Neben ihr erheben sich gewaltige Wolkenmauern. Fanfaren und Posaunen kann sie hören, die klingen herzallerliebst! Und plötzlich erscheint inmitten der Wolkenberge ein Tor, das ist so groß, dass Maja hindurch gehen kann.

Da steht sie nun im Himmel und blickt sich neugierig um, nicht ohne sich weiterhin die kalten Oberarme zu reiben. Weit und breit ist niemand zu sehen, obwohl die Musik hier ebenso herrlich klingt wie draußen. Maja wandelt durch die Wolken und die sind ganz weich und kitzeln an ihren Füßen. Es ist eine weite, weiße Landschaft wie aus Schnee, nur wärmer – wenn es hier nicht so kalt wäre! Doch das schwarze Firmament mit den Sternen spannt sich darüber wie ein lichtundurchlässiges Zeltdach mit Mottenlöchern.

In der Ferne wandelt eine Person. Es ist ein großer Mann mit einem gewaltigen weißen Bart. Da klopft Maja das Herz, denn sie weiß, dass es der Herrscher der Welt persönlich ist, der dort über die Wolkenhügel schlendert.

Das dauert eine Ewigkeit, bis ich bei ihm bin, denkt Maja. Sie macht aber einen Schritt – und dann ist sie schon dort! Und steht vor der Gestalt und möchte sie nach dem Weg fragen.

Der Herrscher der Welt hat aber sein Gesicht abgewandt. Er schaut in einen Abgrund hinunter, denn hier ist der Himmel zu Ende. Maja räuspert sich und die Gestalt dreht sich um.

Verzeihung, sagt Maja und überlegt, ob sie den Herrscher über alle Dinge und alle Welt siezen soll oder nicht. Dann aber zögert sie. Denn das Gesicht des alten Herrn unter dem weißen Bart entspricht keineswegs ihren Vorstellungen.

Ja? Was möchtest du, fragt der Teufel und krault sich den Bart.

Da ist Maja nun ganz verlegen. Gleichzeitig ist das erste Problem gelöst. Den Teufel darf man ruhig duzen.

Ich wusste nicht, dass du hier oben der Herrscher bist, sagt sie.

Wieso? Wo sollte ich denn sonst sein, fragt der Teufel und späht wieder in den schwarzen Abgrund.

Nun, dort, sagt Maja. Sie hat sich neben den Teufel gestellt und späht ebenfalls in die Tiefe.

Dort ist schon der Andere, entgegnet der Teufel lässig, aber seinen Bart habe ich dabehalten. Er passt so gut zu den Wolken hier, findest du nicht?

Doch, doch, antwortet Maja und ist sehr verwundert. Wenn der Herrgott den Kampf gegen den Teufel verloren hat und nun in der Hölle gefangen wäre ...

...dann wäre es ihre Pflicht, dem Teufel einen Tritt zu geben, damit er in den Abgrund fallen würde. Es wäre so leicht, denn der Teufel dreht ihr nun wieder den Rücken zu.

Aber Maja will den Teufel nicht hinunterstoßen. Er ist ihr auf eine schreckliche Weise sympathisch.

Aber was wolltest du nochmal von mir, fragt der Teufel und wendet sich endlich vom Abgrund ab. Sein verschmitztes Grinsen leuchtet durch den falschen Bart.

Mir ist so kalt, sagt Maja, die Sonne kommt einfach nicht näher, so sehr ich ihr auch entgegenspringe.

Bist du denn mit den Planeten gesprungen?

Ja.

Immer entlang der vorgeschriebenen Planetenbahn?

Ja.

Weil du dachtest, das wäre der Weg zur Sonne?

Ja. So habe ich es gelernt.

Oh, du armes Menschenkind, entgegnet da der Teufel. Er streckt seine roten Zeigefinger in die Höhe und hält sie an seinen Kopf. Damit will er Hörner symbolisieren. Eine sinnlose Geste, denn er hat ja bereits zwei Hörner!

Auf diesem Weg kommst du niemals zur Sonne, sagt er und setzt ein noch dämonischeres Grinsen auf. Maja mag ihn.

Warum nicht, fragt sie und reibt sich das letzte Mal die Arme.

Der Teufel antwortet: Du kannst nicht die gerade Bahn zur Sonne einschlagen, weil die Raumzeit gekrümmt ist!